Sie trug ein grünes Kleid, ich war 21 und nervös.
Meine neuen Mitbewohnerinnen hatten mich zu einer Party im 4. Stock mitgenommen; ich kannte sonst niemanden. Als ich sie fragte, wie sie hieß, lächelte sie mich ungezwungen an, dann tanzten wir, bis die Sonne aufging. Zwischendurch küssten wir uns: Ich folgte ihr in ein Nebenzimmer mit einem offenen Fenster. Während ich sie umarmte, lehnte sie sich mit dem Rücken ein Stück weit aus dem Fenster, sodass ich sie leicht an mich drücken musste, damit sie nicht fiel. Obwohl ich mein Gleichgewicht behielt, verlor ich in diesem Moment der Anspannung mein Selbstgefühl.
Nachdem wir uns verabschiedet hatten, rannte ich nach Hause, am Tempelhofer Feld vorbei. Ich fühlte mich lebendig. Das Leben kann so schön sein.
Morgens merkte ich, dass mein Handy ihre Nummer nicht gespeichert hatte. Verzweifelt fragte ich meine Mitbewohnerinnen, ob sie die Frau im grünen Kleid kannten: nein, niemand, war die Antwort. Ich versuchte mich zu erinnern, welche Details sie erwähnt hatte: „Theater“, „Regieassistenz“, „Medizinstudium“. Eventuell fand ich ein Profil online.
Als wir uns bei Mondlicht wieder sahen, wurde wieder getanzt. Dieses Mal nur kurz. Die restlichen Sommerwochen glitten wir durch die Stadt, trafen uns unüberlegt, begrüßten morgens gemeinsam die Sonne und nachts den Mond, tanzten auf einer Theaterbühne und fuhren hintereinander ganz schnell mit dem Rad nach Hause.
Als es plötzlich September war, musste ich Berlin verlassen. Alles fühlte sich noch immer wie ein Traum an. Als ich schon weg gereist war, schickte sie mir eine Sprachnachricht, in der sie sagte: Ich will, dass du immer Teil meines Lebens bleibst.
Ich bin nicht mehr 21 und werde es auch nie wieder sein, doch das Märchen aus dem Sommer, die Erinnerung, dass alles bleibt – für immer. Ich muss nur übers Tempelhofer Feld laufen.
Das grüne Kleid was interpreted and performed by the house band of the Schaubühne Theatre in Berlin as part of Harry Hase’s 2023 Late Night variety show